Neulich erinnerte ich mich beim Autofahren an eine sympathische Redewendung, die ich vor Jahren einmal von einer Kursteilnehmerin gehört hatte: „E chli sii“. Was für ein genialer Ausdruck: einfach mal ein bisschen sein.
Denn was gibt es Schöneres, als daheim bei einem warmen Getränk gemütlich auf dem Sofa zu liegen und eine anregende Lektüre zu geniessen. Oder einfach mal dazusitzen und gar nichts zu machen, wie es Loriot zu treffend ausdrückte. „E chli sii“ eben.
Doch wenn man eine beliebige Zeitung durchblättert, den Briefkasten leert, im Internet surft oder Fernsehen schaut, wird der Fokus vom Sein aufs Haben gerichtet. Unzählige Dinge werden einem dort vorgeschlagen, die man nun unbedingt haben sollte, weil sie diese Saison ein „Must“ sind oder/und mit Preisnachlässen von 10 – 30% besonders reizvoll erscheinen. Man kauft quasi, um zu sparen. Laut Forschungen wirken Rabattzeichen als Stimulus, lösen im Gehirn einen „Haben“-Reflex aus und mindern das rationale Urteilsvermögen. Wenn man dieses Prinzip durchschaut, gelingt es einem leichter, die für das logische Denken relevanten Teile des Gehirns wieder einzuschalten. So kommt man leicht zum Schluss, dass man nicht dadurch spart, dass man etwas kauft, was man gar nicht unbedingt braucht. Im Gegenteil, man gibt zusätzlich Geld aus. Sparen tut man nur, wenn man das Produkt tatsächlich wirklich braucht und es auch sonst gekauft hätte. Denke also beim 30%-Zeichen auf dem Blazer für 550 CHF nicht an die 165 CHF, die du sparst, sondern an die 385 CHF, die du ausgibst. Und stelle dir dann die Frage, ob dieses Teil für 385 CHF wirklich eine eindeutige Bereicherung deines Kleiderschranks darstellt. Und wie oft du es diese Saison noch tragen wirst. Dezember, Januar, Februar, März – das sind noch 12 Wochen. Danach wirst du das Bedürfnis nach Frühlingsoutfits haben. Also etwa zehn Mal? Und bist du sicher, dass das gute Stück dir auch in der nächsten Herbst-Winter-Saison gefallen wird? Rechne selbst, wieviel einmal Tragen dich kostet.
Zugegeben, es bereitet einige Anstrengung, so kopfgesteuert shoppen zu gehen. Aber es hilft und hält den „Haben-Reflex“ in Schach. Die beste Methode, der Versuchung zu widerstehen, ist zweifellos, sich der Situation so wenig wie möglich auszusetzen. Es gibt Schöneres, als sich an verkaufsoffenen Sonntagen, berieselt von hypnotisierender Weihnachtsmusik, durch die Kaufhäuser schieben zu lassen. Nämlich einfach „e chli sii“. Natürlich muss man dazu nicht nur untätig auf dem Sofa liegen. Das Einfach-mal-Sein kann man auch wunderbar bei Spaziergängen pflegen. Für mich persönlich ist das Joggen mein bestes Sein-Erlebnis. Frische Luft, Bewegung, seinen Gedanken nachhängen.