Gezielt zuhören, Botschaften auswählen

Souverän auftreten und souverän reagieren – dazu gehört auch die Fähigkeit, gezielt zuzuhören. Nützlich hierbei ist das bekannte 4-Seiten-Modell von Friedemann Schulz von Thun. Dieses Modell hilft uns, die Aussagen anderer vielschichtig wahrzunehmen – und sie so zu hören, wie es uns passt – und nicht, wie es dem anderen passt. Ein wichtiger Schlüssel zur gelassenen Schlagfertigkeit.

Nach dem Modell hat jede Äusserung 4 Seiten, nämlich die Sachaussage, die Beziehungsaussage, den Appell und die Selbstaussage. Vielleicht kennst du die berühmte Loriot-Szene mit dem Frühstücksei. Der Mann sagt nichts weiter als: „Berta, das Ei ist hart.“ Daraufhin entsteht eine langfädige Diskussion darüber, wie lange ein Ei kochen muss, damit es weich ist – und eben nicht hart, wie das Ei, das der Mann vor sich hat. Ehefrau Berta weiss, dass ein weiches Ei 4 1/2 Minuten kochen muss. Allerdings misst sie die Zeit nicht mit der Uhr, sondern nach Gefühl. „Eine Hausfrau hat das im Gefühl„, so ihr Argument. Der Mann hingegen argumentiert mit Fakten und Zahlen und zweifelt daran, dass dieses Ei nur 4,5 Minuten gekocht hat, weil es eben hart ist und dann wohl mit Bertas Gefühl etwas nicht stimme. Das Ganze eskaliert schliesslich, weil Berta sich in ihren Fähigkeiten als perfekte Hausfrau infrage gestellt und kritisiert fühlt, während der Mann nicht nachvollziehen kann, dass man den Sachverhalt nicht faktenbasiert diskutieren kann.

Die Sachaussage ist also das, worum es eigentlich geht: „Dieses Ei ist hart„. Wenn man die Sachbotschaft hört, dann spricht man tatsächlich über die Sache an sich. Menschen, die gut auf dem Sachohr hören, bleiben sachlich, weil sie sich nicht so leicht angegriffen fühlen.

Eine weitere Seite der Nachricht ist die Beziehungsbotschaft. Der Mann sagt etwas darüber, wie er zu seiner Frau steht und wie er sie sieht. Diese Beziehungsbotschaft ist: „Du kannst keine Eier kochen.“ Menschen, die besonders auf dem Beziehungsohr hören sind also sehr empfindlich und fühlen sich leicht angegriffen.

Die dritte Seite der Nachricht ist der Appell, also die Botschaft, dass ich den anderen zu etwas auffordern möchte. In unserem Beispiel ist die Appellaussage: „Koch mir ein weiches Ei.“

Wenn man die Appellseite einer Botschaft wahrnimmt, dann fühlt man sich zu etwas aufgefordert, auch ohne, dass der/die andere dies explizit gesagt hat. Menschen, die vieles auf dem Appell-Ohr hören, sind sehr hilfsbereit, lassen sich aber auch leicht ausnutzen, weil sie sich stark auf den anderen und dessen Bedürfnisse ausrichten.

Und schliesslich haben wir als vierte Seite der Nachricht die Selbstaussage. Mit der Selbstaussage kommuniziert man, wie man selbst zu einer Sache oder einer Person steht, was man für ein Weltbild hat. In unserem Beispiel mit dem Frühstücksei offenbart der Mann über sich: „Ich mag keine harten Eier.“ Menschen, die auf Selbstaussageohr hören, erkennen den Standpunkt der/des anderen und verstehen ihn, machen sich aber seine Probleme nicht zu ihren eigenen.

Fassen wir zusammen: Jede Nachricht, jede Äusserung hat vier Seiten, also vier Botschaften, die ausgesendet werden. Das bedeutet, dass man jede Äusserung quasi auf vier Ohren hören kann. Und genau diese Erkenntnis gibt mir die Freiheit, selektiv zu hören, nämlich das zu hören, was ich hören möchte.

Auf welchem Ohr sollte man nun besonders hellhörig sein und auf welchem eher taub? Zweifellos sind das Sachohr und das Selbstaussageohr nützlich, wenn man mit Angriffen umgeht. Ich muss heraushören, worum es eigentlich geht. Und was der andere über sich sagt, nicht über mich. Das genau ist die Schwäche des Beziehungsohrs. Wenn wir auf dem Beziehungsohr hören, dann hören wir permanent, was der andere über uns sagt, fühlen uns angriffen und stellen uns selbst infrage. Damit setzen wir uns unter Stress und behindern unsere Fähigkeit, gelassen zu bleiben und zu kontern.

„So kannst du das doch nicht sehen!“

Nehmen wir ein Beispiel: Jemand sagt zu dir: „So kannst du das doch nicht sehen!“ Wenn ich diese Nachricht auf dem Beziehungsohr höre, dann höre ich die Kritik an mir und die Botschaft: „Du hast eine falsche Sicht.“ Wenn ich diese Botschaft hingegen auf dem Selbstaussageohr höre, dann höre ich: „Meine Sicht ist anders als deine„. Darauf kann ich viel gelassener reagieren, weil ich die Botschaft nicht persönlich nehme. Erfahrungsgemäss hören Frauen besonders gut auf dem Beziehungsohr. Diese Stärke ist gleichzeitig eine Schwäche, denn dadurch fühlen sie sich leicht angegriffen und reagieren defensiv oder beleidigt.

Ähnlich problematisch ist das Appellohr. Zwar sind Appellohr-Hörer sehr hilfsbereit und lösungsorientiert, geraten aber mit ihren eigenen Bedürfnissen leicht ins Hintertreffen. Und beklagen sich dann gerne darüber, dass sie ständig herumkommandiert werden. Dabei reagieren sie auf unausgesprochene Appelle.

Beispiel: Der Mann kommt von der Arbeit und sagt: „Es ist kein Bier im Kühlschrank.“ Da wird die Frau einen Appell heraushören: „Geh Bier holen!“. Und sehr wahrscheinlich hat der Mann es auch so gemeint. Doch das heisst nicht, dass man auch auf den Appell reagieren muss. Man kann ganz entspannt die Selbstaussage hören: „Ich hätte gern ein Bier.“ Und dieses ebenso gelassen und entspannt zur Kenntnis nehmen: „Du hättest gern ein Bier.“ Niemand zwingt dich permanent auf unausgesprochene Appelle zu reagieren. Und unter Umständen gehen wir damit anderen sogar auf die Nerven. Oder magst du Leute, die dir ständig Ratschläge geben oder helfen wollen?

Wichtig: Wenn du souverän reagieren willst, dann reagiere nicht immer gleich auf vermeintliche Aufforderungen. Verschaff dir Zeit zum Nachdenken darüber, wie du in der Situation reagieren möchtest. Bestätige die Aussagen anderer auf dem Selbstaussageohr.

Ein weiteres Beispiel:

Jemand sagt: „Hoffentlich dauert das mit der Bearbeitung des Auftrags nicht wieder so lange.“ Du hörst darin den Appell „Beeil dich“. Doch auf dem Selbstaussageohr hörst du hingegen, dass der andere ein Zeitproblem hat und unter Druck steht. Das ist sein Problem, nicht deines. Entsprechend verständnisvoll kannst du nachfragen: „Stehen Sie unter Zeitdruck?“. Damit hast du den Ball entspannt zurückgespielt. Natürlich kannst du dann im nächsten Schritt Hilfe bei der Lösung des Zeitproblems anbieten, aber nur, wenn du das möchtest und der/die andere dir wichtig ist.

Fazit: Der Schlüssel zur gelassenen Schlagfertigkeit liegt im zielgerichteten Hinhören. Und im zielgerichteten Weghören. Überlege dir immer, was die/der andere über sich selbst und über die Sache sagt. Sei hingegen taub auf dem Beziehungsohr. Vergeude deine Energie nicht darauf zu überlegen, was die/der andere über dich sagt oder denkt. Du kannst es ja eh nicht ändern …. Und es müssen dich nicht alle mögen!

Selbstverständlich spielen bei der Interpretation einer Äusserung auch der Tonfall sowie die Gestik und die Mimik eine Rolle. Doch wichtig ist die Erkenntnis, dass du selbst darüber entscheidest, auf welchem Ohr du eine Nachricht hören willst. Auch wenn das Gegenüber seine Äusserung als Appell gemeint hat, musst du die Botschaft eben nicht auf dem Appellohr hören, sondern wählst stattdessen das Sachohr oder das Selbstaussageohr aus.

Manipulationen durchschauen – Polemik erkennen